Professor Putih Bin Awang kehrte langsam ins Hier und Jetzt zurück. Nach ein paar Sekunden konnte er zuordnen, wo und wann das war.
Das Wo ergab sich aus der Skyline von Foundation auf der rechten Seite des Pods. Getragen von den Magnetfeldern der Bahn schwebte Professor Awang gute zehn Meter über dem Boden, westlich der Stadt. Es würde also noch etwas dauern, bis er an der Akademie ankäme. Die Strecke war heute am Feiertag sicher frei, aber Foundation war groß und der Weg drum herum lang.
Das Wann ergab sich aus dem rötlichen Sonnenlicht, das Awang geweckt hatte. Heute war Sommeranfang. Das Licht von Pallu würde für die nächsten sechs Monate die Oberfläche von Nutrocarro direkt erreichen und nicht mehr durch die Eiskristalle in der oberen Atmosphäre um Carro herum reflektiert werden.
Während der Rest des Planeten die Nacht hindurch gefeiert hatte, musste sich Putih das Gefasel des Präsidenten anhören. So wie alle anderen Eingeweihten auch. Während die meisten versuchten, irgendwie wach zu bleiben, hatte der Polizeichef auf dem Sitz neben dem Professor gegen Mitternacht einfach aufgegeben. Der Mann schien sein Budget wohl im Schlaf zu erhalten.
Putih packte sein Tablet ein. Er hatte im Moment keine Muße, an den Plänen zu arbeiten. Auch wenn es bis zur Konjunktion nur noch vier Monate waren und er sich schuldig fühlte, die Vorbereitungen nicht weiterzuführen, wußte er auch, dass er morgens sowieso nichts Vernünftiges zustande brachte.
Während die Kabine der Magnetschwebebahn lautlos auf die Akademie zuraste, sammelte der Professor seine Aktentasche und den kleinen Koffer ein. Er wollte nach der Ankunft so schnell wie möglich in sein Büro. Die Verpackung seines Frühstücks ließ er auf dem Sitz liegen. Wenn er es nicht tat, würden die Putzleute der Maglev-Gesellschaft irgendwann arbeitslos und dann musste die Allgemeinheit für sie aufkommen.
Der Pod passierte die Innenstadt von Foundation. Von hier oben war die Scheibe des Kolonieschiffs in voller Größe zu sehen. Heute ein Museum, hatte das Schiff mehr als zehntausend Menschen eine Passage durch die Leere ermöglicht. Fast vierzig Jahre waren vergangen seit Putih den Planeten betreten hatte. Der Flug hatte für ihn nur ein Jahr gedauert, für den Rest des Universums fast ein Jahrhundert.
Genau wie die Zeit verschwand auch das Schiff in der Ferne während Putih ihm hinterher schaute. In den zwei Generationen seit der Landung war die Bevölkerung auf über zweihundertfünfzigtausend angewachsen. Jeder Kolonist hatte vier Kinder aufgezogen, die dann wieder vier Kinder aufgezogen hatten. Die nächste Generation würde die Million sicher überschreiten, wenn die Brutkästen und DNA-Sequenzierer mithalten konnten.
Foundation würde wachsen, weg von den fruchtbaren Gebieten, hinein in die Wüste. Vielleicht würde man eine dritte Stadt bauen, wenn die Konjunktion überstanden war. Einen Fehler wie mit New Horizons würde die Regierung nicht ein zweites Mal machen.
Niemand hätte ahnen können, dass die Barbaren auf Pietrocarro ihre Ressourcen in den Bau von Raumschiffen steckten statt in das Terraforming des Planeten. Niemand hatte erwartet, dass sie es schafften, den Gasriesen zu umrunden und dann eine kleine Invasionsarmee im Hinterland von New Horizons abzusetzen.
Obwohl die Regierung die Persönlichkeitsprofile aller Kolonisten beider Planeten hatte, konnte weder der beste Psychologe noch der beste Computer vorhersagen, wie verrückt Manuel Brunet wirklich war. Verrückt und deshalb so gefährlich. Hätte Putih damals nicht eingegriffen, wäre General Brunet wohl bis Foundation marschiert.
Der elegante Gong des Ankunftssignals riß Putih aus den Erinnerungen an diese Zeit. Die Regierung hatte ihn öffentlich gefeiert, weil es opportun war und die Bevölkerung beruhigt hatte. Keiner dieser Bürokraten hatte wirklich verstanden, welche wissenschaftliche Leistung hinter dem … Impfstoff gegen das New-Horizons-Virus steckte. Seit damals hatte es nur sehr wenige Momente gegeben, in denen man ihm den Respekt gezollt hatte, den er verdiente.
»Willkommen zurück, Sir.« Der Butler nahm wie immer nur den Koffer. »Darf ich das Frühstück servieren, Sir?«
Putih schüttelte den Kopf. Ohne den Domestiken weiter zu beachten, ging er auf die Frau zu, die ein paar Meter näher am Gebäude stand.
»Willkommen zurück, Sir«, sagte Frau Pakdimounivong. Mit einer einzigen eleganten Bewegung nahm sie ihrem Chef die Tasche ab, drehte sich um und nahm den Schritt auf.
»Ist alles gut gelaufen?« Wie immer, wenn Frau Pakdimounivong nervös war, strich sie sich die Federn an ihrem Hals glatt.
»Ich konnte unser Budget für das nächste Jahr sichern. Bis zur Konjunktion sind wir erst einmal versorgt.«
Frau Pakdimounivong drückte den Knopf für den Fahrstuhl. Ihre besorgte Miene spiegelte sich im polierten Edelstahl der Türen wieder. Sie schien in den drei Tagen um Jahre gealtert zu sein. Oder Putih waren die Falten um ihre Augen – dort, wo die Haut nicht von Federn bedeckt war – vorher einfach nicht aufgefallen. Vielleicht waren die Veränderungen über die letzten zwanzig Jahre einfach zu langsam gewesen.
»Und danach?« Frau Pakdimounivong schaute zu ihrem Chef.
»Das ist ein Problem für danach. Wenn wir seinen Angriff überstehen, haben wir genug Zeit für Budgetverhandlungen. Und wenn nicht, …«
Frau Pakdimounivong betrat die Kabine. Sie lehnte sich schwer an die Wand. Putih lehnte sich an die andere Seite. Der hölzerne Handlauf drückte in seinen Rücken.
»Wie ist es hier gelaufen«, fragte der Professor, um seine Stellvertreterin auf andere Gedanken zu bringen. Er brauchte ihre Energie, ihre Kreativität. Die Akademie brauchte Direktorin Pakdimounivong. Sektion acht brauchte die Biologin Doktor Pakdimounivong. Niemand brauchte Keilana, das junge Mädchen, das sich aufgrund seiner Mutation an der Akademie verstecken wollte.
»Bis auf eine Rauferei unter den Senioren nichts Besonderes.«
»Die Raufbolde sind zurechtgewiesen worden?«
»Edgar hat das übernommen. Es ging wohl darum, wer die stärkste Mutation hat. Er hat kurz die Krallen gezeigt. Das hat für Ruhe gesorgt.«
Putih schnaubte. »Ohne Zweifel. Unser Maulwurfmann hält schließlich den Weltrekord für die meisten veränderten Gene.«
»Entweder das oder die Aussicht auf eine Ohrfeige von einem lebenden Bagger.«
Putih schaute Frau Pakdimounivong überrascht an. »Herr Hendricksen hat also endlich seinen lächerlichen Pazifismus abgelegt?«
Die Direktorin schüttelte den Kopf.
Putih zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht. Geben wir ihm bis zum Abschluß seines Studiums Zeit. Danach endet unsere Verpflichtung ihm gegenüber. Entweder er wird Lehrer oder er verlässt die Akademie.«
Frau Pakdimounivong schluckte. »Hätten Sie mich damals auch vor diese Wahl gestellt?«
Putih quetschte sich durch die sich öffnende Tür. »Das waren andere Zeiten. Das Gebiet von New Horizons war gerade erst erforscht und zur Besiedelung freigegeben. Die Leute haben sich auf die erschlossenen Flächen gestürzt, als wären es die letzten. Überall herrschte Aufbruchstimmung.«
»Und dann tauche ich auf und erinnere sie daran, dass sie die nächsten sein könnten.«
Putih nahm den Gang nach rechts, zu seinem Büro. »Oder ihre Kinder. Das hat den Leuten viel mehr Angst gemacht.«
»Das beantwortet aber nicht meine Frage.«
Putih seufzte. »Ich brauchte Sie nie vor die Wahl zu stellen, Frau Pakdimounivong. Ich wußte vom ersten Moment an, dass ich mich auf sie verlassen kann. Dass ich die Akademie gründen musste, weil Sie nur die Erste von Vielen sein würden.«
»Gab es irgendwelche Neuzugänge?« Putih drehte sich nicht einmal herum.
»Nein, Sir. Der neue Mutationshemmer scheint zu wirken. Statistisch hätten wir zwei neue Schüler haben sollen.«
Putih nickte. »Sehen Sie! Wenn Sie das Mittel gleich ins Trinkwasser gegeben hätten, wie ich es Ihnen gesagt habe und sich nicht erst beim Gesundheitsminister abgesichert hätten – der ja wie immer nichts getan hat – hätten wir das schon vor zwei Monaten haben können.«
Frau Pakdimounivong presste die Lippen zusammen. Sie brauchte einen Moment für eine angemessene Antwort. »Das macht unser Vorgehen nicht ethischer.«
»Ethik? Die können wir uns leisten, wenn wir den General und seine Armee besiegt haben. Momentan zählt nur, dass wir den Krieg ein für allemal gewinnen und nicht nur durch Glück. Sonst haben wir das Problem bei jeder Konjunktion. So kann unsere Gesellschaft nicht wachsen.«
Frau Pakdimounivong senkte den Kopf. Sie wirkte wie ein zurechtgewiesenes Schulmädchen.
»Sonst noch irgendwas?« Der Professor nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.
»Abteilung 1 hat für diese Woche Waffentests angemeldet. Die Lehrpläne sind entsprechend angepasst worden.«
»Sehr gut. Die sollen sich alle Zeit nehmen, die sie brauchen. Das hat oberste Priorität. Der Lehrbetrieb hat da zurückzustehen.«
Putih schaute seine Stellvertreterin an, bis er sicher war, dass sie nichts weiter zu berichten hatte. »Wenn das alles war, können Sie gehen. Ich muss noch die Forschungsberichte der letzten Tage lesen. Wir sehen uns zum Mittag.«
Frau Pakdimounivong verließ wortlos den Raum. Putih nahm es nicht wahr. Seine Gedanken kreisten um den General und was er an dessen Stelle tun würde. Nur so konnte er geeignete Gegenmaßnahmen treffen.
An manchen Tag erschien es ihm, als sei all das sinnlos. Die Regierung glaubte ihrer eignen Propaganda, dass der New-Horizons-Virus Brunet in einen Klumpen Glibber verwandelt hatte wie die anderen Angreifer. Der Professor war davon überzeugt, dass der General überlebt hatte.
Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen hatten am Ende dreiundzwanzig Ampullen mit dem Impfstoff gefehlt. Während die Regierung von Abrechnungsfehlern und ungeschickten Ärzten ausging, musste Putih von Diebstahl ausgehen. Der General war schlau genug, nicht einfach eine ganze Schachtel zu nehmen. Hier und da eine Ampulle konnte man auf Fehler schieben.
Putih hätte es genauso gemacht. Er konnte nur nicht beweisen, dass der General dahinter steckte. Er konnte nicht einmal erklären, wie der General es hätte zustande bringen können. Sowohl der Verteidigungsminister als auch der Gesundheitsminister hatten ihn einen Paranoiker genannt.
Mit einem Seufzer wandte er sich den Forschungsberichten zu.
Submitted: February 16, 2025
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